Vertrauensarbeit weiterhin möglich – jetzt doch?

Vor ziemlich genau einem Monat kam die Nachricht vom Bundesarbeitsgericht, die unsere Arbeitswelt in Zukunft grundlegend verändern soll. Schon damals berichteten wir im Blog-Artikel “Nach Grundsatzurteil: Kommt jetzt die Stechuhr zurück?“, zum hochaktuellen Thema. Auch heute ist die Entscheidung aus Erfurt immer noch in den Köpfen aller Arbeitnehmer und Arbeitgeber und meist steht im Fokus der Diskussion die viel genutzte Vertrauensarbeit. Wie viele andere titelten auch wir seinerzeit “[…] im Grundsatz bedeute diese Änderung ein Ende der Vertrauensarbeit.” Doch ist es wirklich so? Oder ist die Vertrauensarbeit vielleicht doch nicht Geschichte?

Rückblick

Am 13.09.2022 entschied das Bundesarbeitsgericht in Erfurt über das EU-Recht und legte den Paragraf 3 des Arbeitsschutzgesetzes rückwirkend so aus: “Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann”. Damit war ab diesem Zeitpunkt eine Erfassung der gesamten Arbeitszeit aller Mitarbeiter notwendig und verpflichtend. Das sogenannte “Grundsatzurteil” sorgte für viele Spekulationen über ein neues Gesetz und die Befürchtung, dass dies das Ende der Vertrauensarbeit ist.

Was ist neu?

Seit der Verkündung hört man von allen Seiten Theorien über die Auswirkungen auf New Work und vor allem die Vertrauensarbeit, welche zurzeit noch tausendfach in Wirtschaft und Verwaltung genutzt wird. Die Ampel-Regierung in Berlin ist zunächst in der Verantwortung und prüft bereits den Anpassungsbedarf. Aus Regierungskreisen ist zu hören, dass Vertrauensarbeit weiterhin möglich bleiben soll, die Gestaltung aber erst einmal offen bleibt. Bundesarbeitsminister Heil kündigte an, Lösungen zu finden, “die in der betrieblichen Wirklichkeit handhabbar sind”. Grundsätzlich gilt trotzdem noch immer das Urteil des EuGH und dieses legt fest, dass es ein objektives, zugängliches, verlässliches System braucht, welches neben der wöchentlichen Arbeitszeit, den Pausen- und Ruhezeiten auch jegliches Beginnen und Beenden einer Work-Session aufzeichnen muss. Dazu merkten einige Experten an, dass eine Definition schon länger geplant wurde und im Rahmen des “Mobile-Arbeit-Gesetz” auch ohne das BAG-Urteil in naher Zukunft publiziert werden sollte. Dieser Entwurf sah auch die gesetzliche Pflicht der Arbeitszeiterfassung für jeden Mitarbeiter vor.

Gesundheitsschutz ist der zentrale Aspekt

Allgemein ist das Ziel des gesamten Arbeitsschutz-Katalogs, die Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen. Dieser effektive Fokus auf den Gesundheitsschutz zieht sich durch den kompletten Arbeitsschutz. Dabei widerspricht Vertrauensarbeit nicht dem Gesundheitsschutz, sondern stützt ihn in vielen Aspekten. Genau deshalb ist die Existenz der Vertrauensarbeitszeit auch nicht ernsthaft bedroht. Wichtig ist nur, dass in Zukunft die Einhaltung von Pausen und Ruhezeiten überprüft wird, um gegebenenfalls den Arbeitnehmer vor sich selbst zu schützen. Genau aus diesem Grund ist auch noch unklar, ob leitende Angestellte wirklich von der Regelung ausgeschlossen werden, da dies im Konflikt zum Gesundheitsschutz aller stehen würde.

Was heißt das konkret für die Zukunft von New Work?

Die Existenz von New-Work Konzepten, wie Home-Office und immer mehr Vertrauensarbeitszeit, ist also nicht ernsthaft gefährdet. Klar ist aber auch, dass sich ein deutlicher organisatorischer Mehraufwand ergeben wird. Ein Zeiterfassungssystem muss schließlich installiert und je nach Lösung auch gepflegt werden. Denn ein gänzlicher Verzicht auf die Dokumentation ist laut des Präsidenten des BAG Inken Galler nicht möglich. Kurz gesagt, Deutschland hat ein Mitspracherecht beim “Wie”, nicht aber beim “Ob”. Es wird also weiterhin möglich sein, dass man kommen und gehen kann wie man will und das auch im Home-Office, es müssen aber die Mindestanforderungen an das Arbeitszeitrecht eingehalten werden. Es geht hauptsächlich darum, schon bestehende Regeln, wie beispielsweise das unerlaubte Arbeiten an Wochenenden und Feiertagen, zu schützen. Und auch die gesetzlichen Regelungen zu Ruhepausen und täglicher Höchstarbeitszeit gelten heute schon. Der Arbeitgeber hat die Fürsorgepflicht. Diese bestehenden Regelungen ändern sich nicht, die Umsetzung dieser wird nun aber verstärkt. Dazu gehen Experten davon aus, dass die Verantwortung auf den Mitarbeitenden übertragen werden kann und es ausreichend sein könnte, wenn der Chef nur gegengezeichnet. Das kann laut Arbeitsrechtler Markulf Behrendt von der Kanzlei Allen & Overy auch in Form einer “modernen Stechuhr”, zum Beispiel über eine einfache Excel Tabelle umsetzbar sein. Diese könnte vom Arbeitnehmer selbst ausgefüllt werden. Allgemein „sehen wir durchaus Lösungsmöglichkeiten, wie sie, leicht verändert, auch weiterhin möglich sein kann“, sagte Behrendt gegenüber der Frankfurter Rundschau. Diese Einschätzung beruhigt viele Arbeitnehmer, die schon eine zwanghafte Rückkehr ins Office befürchtet hatten.

Tipps und To-dos

Wie wir es Ihnen bereits im letzten Artikel empfahlen, sollten Sie zwar jetzt handeln, aber nicht in einen übereilten Aktivismus verfallen. Diese neuen Regelungen werden höchstwahrscheinlich Bestand haben und deshalb sollten sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber frühzeitig um das Prüfen der Arbeitsverträge kümmern und sich gegebenenfalls transparent über die Regelungen der Überstunden unterhalten, um spätere Missverständnisse zu verhindern. Ein Bußgeld kann dabei frühestens erst nach einer Aufforderung der zuständigen Behörden verhängt werden. Eine frühe Befassung mit dem Thema ist aber schon wegen der zunehmenden Konkurrenz und steigenden Preisen bereits jetzt sehr sinnvoll.

Fazit: Nicht alles schlecht

Trotz aller Änderungen und dem wahrscheinlichen Mehranfall von logistischem Papierkram sollte man nicht vergessen, was das Ziel dieses Gesetzes ist. Denn im Vordergrund steht der Schutz eines jeden einzelnen Arbeitnehmer vor zu langen Arbeitszeiten. Vor allem in einer Zeit, in der die Mehrheit der Deutschen krank zur Arbeit geht und Burnouts und psychische Krankheiten auf dem Vormarsch sind. Darüber hinaus gibt es auch heute schon viele mobiltaugliche Lösungen, über die sich modern und einfach die Arbeitszeit aufzeichnen lässt. Wir sollten also auch das Gute in den neuen Vorgaben sehen und den verbesserten Gesundheitsschutz unserer Kollegen und Mitarbeiterinnen sehen.

Top informiert über die aktuellsten HR Themen - Jetzt Newsletter abonnieren!

Noch mehr HR-Wissen

Mit einer steuer- und beitragsfreien Gesundheitsförderung in Form eines Gesundheitsbonus haben Arbeitgeber die Möglichkeit, bis zu 600 Euro in die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden zu investieren – oder gleich selbst entsprechende Leistungen zu erbringen. Einzelheiten zu einer entsprechenden Steuerbefreiung wird in einer Umsetzungshilfe durch die Finanzverwaltung festgelegt. Lesen Sie in diesem Beitrag, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen und welche Leistungen als Gesundheitsbonus akzeptiert werden.

Gesundheitsbonus vom Arbeitgeber – So geht’s | steuerfrei

Weiterlesen

Mit einer steuer- und beitragsfreien Gesundheitsförderung in Form eines Gesundheitsbonus haben Arbeitgeber die Möglichkeit, bis zu 600 Euro in die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden zu investieren – oder gleich selbst entsprechende Leistungen zu erbringen. Einzelheiten zu einer entsprechenden Steuerbefreiung wird in einer Umsetzungshilfe durch die Finanzverwaltung festgelegt. Lesen Sie in diesem Beitrag, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen und welche Leistungen als Gesundheitsbonus akzeptiert werden.

Gesundheitsbonus vom Arbeitgeber – So geht’s | steuerfrei

Weiterlesen

Es ist ein Thema, welches gerade im arbeitsrechtlichen Kontext hauptsächlich durch die #Metoo Bewegung Mitte Oktober des Jahres 2017 an großer Aufmerksamkeit gewann. Damit die Zahlen, vor allem jetzt nach Corona-Pausen in deutschen Büros, nicht wieder steigen, sieht die Bundesregierung bedarf, mehr für den Schutz gegen sexuelle Belästigung und Gewalt im Arbeitsumfeld zu tun.

Deutschland schützt jetzt auch gesetzlich vor Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt

Weiterlesen

Laut Gesetz sind wir dazu verpflichtet, unsere Arbeitgebenden umgehend zu informieren und über die voraussichtliche Absenz aufzuklären. Doch wie darf ich mich während meines Krankenstands verhalten? Was ist erlaubt und was nicht?  

Krankheitswelle: Krankgeschrieben – was darf ich tun?

Weiterlesen