Alle guten Dinge sind drei. Wir begleiteten und hinterfragten im Artikel “Richtig suchen, statt ziellos stochern” den ersten Schritt des Recruitingprozesses. Darauf folgten im Artikel “Schon gefunden und trotzdem verloren” Tipps und Informationen, um in der kritischen Phase zwischen dem ersten Kontakt und dem Bewerbungsgespräch den Bewerber nicht zu verlieren. In diesem Artikel geht es um den letzten Schritt, das persönliche Kennenlernen online oder ganz klassisch in Persona.
Analog oder digital?
Am Anfang der Coronapandemie im März 2020 gaben 81 Prozent der Befragten an, dass sie auf Video-Interviews umgestellt haben, nur 3 Prozent setzten damals weiter auf persönliche Vorstellungsgespräche. Die Reaktion der Bewerber war durchweg positiv, es berichteten über zwei Drittel von positiven Erfahrungen im Zusammenhang mit digitalen Bewerbungsgesprächen und nur 22 Prozent waren eher negativ gestimmt. Nun stehen wir laut einigen Experten vor einem neuen Coronawinter und viele Unternehmen setzen weiter auf digitale Bewerbungsgespräche. Die Bewerber empfinden dieses, wie die vorherigen Statistiken zeigen, zwar durchweg positiv, aber Online-Gespräche haben nicht nur Vorteile. Anders als gedacht, sind dabei nicht technische Probleme oder Störungen ein Problem und auch die Kompetenz der Interviewer überzeugte 76,5 Prozent der Bewerber. Negativ empfanden dahingegen 31 Prozent den verlangsamten Bewerbungsprozess seit der Pandemie und 62 Prozent reagierten skeptisch auf selbst gelobte Internetkompetenzen der Unternehmen. Forscher der Universität Ulm veröffentlichten genau zu diesem Thema eine neue Studie. Sie fanden heraus, dass trotz der positiven Reaktionen der Bewerber, die Kandidaten online deutlich schlechter abschnitten. Dass vor allem in Bewerbungsgesprächen mit vielen Konkurrenten, wichtige Skills, wie “Impression Management”, digital weitaus schlechter abgerufen werden und identische Antworten werden vom Personaler online deutlich kritischer bewertet als im persönlichen Gespräch. Forscher raten Unternehmen deshalb, innerhalb eines Bewerbungsdurchgangs nicht online und offline zu interviewen, sondern sich für eine Art zu entscheiden, um eine Fairness zu garantieren.
Best Practice
Die Wahl zwischen On- und Offline Bewerbungs- oder Kennenlerngesprächen, werden viele Unternehmen wahrscheinlich in diesem Winter nicht haben, langfristig werden sich in Zeiten von New Work und dezentraler Arbeit Online-Gespräche aber ohnehin durchsetzen. Um auch Online perfekt vorbereitet zu sein, sollten Unternehmen sich auf Best Practice Erfahrungen aus dem persönlichen Kennenlernen stützen und gelerntes beibehalten. Dazu gehört ein schneller und transparenter Bewerbungsprozess, die Internetkompetenz weiter auszubauen und vor allem auch Online die Person nicht aus den Augen zu verlieren. Dabei sollte besonders darauf geachtet werden, Blickkontakt zu halten, das heißt im Online-Gespräch vor allem in die Kamera zu schauen und diese richtig auszurichten. Mindestens genauso wichtig ist auch die Körpersprache, die auch Online eine ähnlich große Rolle, wie im Offline Gespräch spielt. Auf gar keinen Fall sollte das Videogespräch wie vieles andere weiter optimiert und verkürzt werden. Vor allem der Small Talk vor dem eigentlich Bewerbungsgespräch darf nicht wegfallen. Es spielt keine Rolle, ob es ein Gespräch im persönlichen Gegenüber ist oder online am Computer, so oder so geht es unserer Meinung nach um den Menschen und nicht um seinen Lebenslauf. Deshalb sollte man auch Online versuchen, den Menschen kennenzulernen und auf die Frage: “Wer bist du?”, als Antwort nicht eine Zusammenfassung des Lebenslaufes erwarten. Genauso wie man als Recruiter durch Small Talk und von persönlichen Themen geprägte Gespräche einen Einblick des Bewerbers zu erhalten versucht, sollte man das gegenteilig auch anbieten. Ein kurzer Blick ins Büro und ein oder zwei kurze Vorstellungen von Mitarbeitern ist eine gute Möglichkeit, auch dem Bewerber einen Einblick ins Unternehmen und Team zu ermöglichen. Letztlich sind wir Menschen soziale Wesen, die beim Job nicht nur nach Gehalt, sondern immer auch nach persönlichen Gefühl und der Chemie entscheiden. Deshalb dürfen Recruiter gerade Online nicht vergessen, dass es immer um die Person hinter dem Bildschirm geht und nicht nur um den potenziellen neuen Sales-Manager.